«Zukunft des Holzbaus ist vielversprechend»

Dr. Giuseppe Santagada (50) steht seit 1. Januar 2O24 an der Spitze der breit diversifizierten Schweizer Baugruppe ERNE. Als Gruppen-CEO wird er das Traditionsunternehmen entlang der Wertschöpfungskette konsequent auf die Bedürfnisse des Marktes und der Kunden ausrichten und zum Branchen-Leader weiterentwickeln. Der Wirtschaftsingenieur und Absolvent MBA HSG promovierte im Bereich Management und Ökonomie und bildete sich an der Harvard Business School weiter.

Mit steigendem Bewusstsein für nachhaltiges Bauen und den ökologischen Vorteilen von Holz wird der Holzbau weiter an Bedeutung gewinnen und moderne Produktionstechnologien und innovative Bausysteme machen ihn auch wirtschaftlich attraktiv, sagt Giuseppe Santagada. Er ist seit Anfang Januar 2024 neuer CEO der ERNE Gruppe.

Die ERNE AG Holzbau gilt als Vorreiterin in Bezug auf Lösungen für die Herausforderungen und Chancen der Kreislaufwirtschaft in der Schweizer Bauwirtschaft. Doch nicht überall wird das Konzept «Cradle to Cradle» angewendet. Woran liegt das?

Giuseppe Santagada: Generell ist die Anwendung des Cradle-to-Cradle-Konzepts in der Bauwirtschaft aufgrund hoher Anfangsinvestitionen, komplexer Planungsanforderungen und des Mangels an standardisierten Lösungen begrenzt. Zudem sind gesetzliche Vorgaben oftmals nicht auf Kreislaufwirtschaft ausgelegt und es fehlt an Bewusstsein und Akzeptanz bei vielen Akteuren. Diese Faktoren erschweren eine flächendeckende Umsetzung des Konzepts in der Branche. Die ERNE AG Holzbau, als Spezialistin für vorgefertigtes, industrialisiertes Bauen auf Spitzenniveau, zeigt jedoch bereits heute, wie es geht: Durch die Vorfertigung sind unsere Gebäude ideal für eine spätere Nachnutzung geeignet. Unser Holz-Hybrid-Deckensystem SupraFloor ecoboost2 zum Beispiel ist als ganzes Bausystem Cradle-to-Cradle-zertifiziert. Unsere modularen Bauten können im Extremfall bis zu zehn Mal ab- und an einem neuen Standort wieder aufgebaut werden. Damit beweisen wir, dass Mehrfachnutzungen von Bauteilen ein absolut realistisches Zukunftsszenario sind.

 

Das Wirtschaftswachstum ist eng mit dem Verbrauch von Ressourcen verbunden. Holz hingegen ist ein nachwachsender Rohstoff, der Kohlenstoff speichert, anstatt ihn freizusetzen. Wie sehen Sie die Zukunft des Holzbaus in der Schweiz?

Die Zukunft des Holzbaus in der Schweiz und in ganz Europa ist generell vielversprechend. Holz ist die einzige nachwachsende Ressource, die in der Schweiz in grossen Mengen in der Bauwirtschaft zum Einsatz kommt. Es speichert Kohlenstoff und trägt so zur Reduktion von Treibhausgasen bei. Holz hat ein unglaublich konstruktives und gestalterisches Potenzial und überzeugt durch seine Haptik sowie die einmalige Atmosphäre, die in Holzgebäuden entsteht. Mit steigendem Bewusstsein für nachhaltiges Bauen und den ökologischen Vorteilen von Holz wird der Holzbau weiter an Bedeutung gewinnen. Moderne Produktionstechnologien und innovative Bausysteme machen ihn auch wirtschaftlich attraktiv und bieten eine nachhaltige Lösung für Klimawandel und Ressourcenknappheit.

Die Kreislaufwirtschaft könnte viel zum nachhaltigen Bauen beitragen: Aktuell sind die meisten Bauteile so verbaut und verklebt, dass sie kaum wiederverwendet werden können. Wären Materialpässe mit der Zusammensetzung und dem Wert der verbauten Materialien pro Liegenschaft eine Lösung?

Die ERNE Gruppe leistet durch den hohen Eigenfertigungsgrad über die gesamte Bau-Wertschöpfungskette einen grossen Impact auf die Kreislaufwirtschaft: angefangen bei eigenen Rohstoffen, über Planung und Prozesse, Realisierung, Abbruch und Entsorgung sowie Wiederverwendung. Ein gutes Beispiel dafür sind die Holzmodulbauten von ERNE AG Holzbau. Eine systematische Transparenz darüber, welche Materialien in Gebäuden verbaut sind, ist eine wichtige Voraussetzung für die reale Umsetzung der Kreislaufwirtschaft. Materialpässe dokumentieren die Zusammensetzung und den Wert der verbauten Materialien, was ihre Rückverfolgbarkeit und Wiederverwendbarkeit erleichtert.

 

Mit welchen Vorteilen?

Dadurch können Materialien effizienter recycelt, Abfälle reduziert und die Lebensdauer von Baustoffen verlängert werden. Ich bin jedoch skeptisch, ob die Kreislaufwirtschaft alleine unsere Umweltprobleme lösen wird. Wir müssen schon heute bei der Materialeffizienz ansetzen und bereits in der Erstellung mit so wenig Ressourcen wie möglich bauen - und natürlich auch mit Materialien, die einen möglichst geringen C02-Fussabdruck verursachen.

 

Die grauen Emissionen steigen auch bei Renovierungsaktivitäten an. Können hier mehr Produkte, die sicher, kreislauffähig und verantwortungsvoll hergestellt sind, eingesetzt werden?

Grundsätzlich werden bei Renovationen - wie auch bei Neubauten - graue Emissionen freigesetzt. Es gilt, diesen Aufwand gegen den Nutzen abzuwägen, nämlich die Einsparung von Betriebsenergie. Da die Wärmeerzeugung heute bei vielen Neubauten und Renovationen C02-neutral erfolgt, sind sanfte Renovationen mit Blick auf möglichst geringe Gesamt-Emissionen oft viel sinnvoller. Der Einsatz von langlebigen, kreislauffähigen Produkten sollte dabei auch hier eine Selbstverständlichkeit sein.

 

Das ERNE Modulbausystem ist das erste Bausystem in der Schweiz, welches die strengen Energieeffizienzanforderungen des Passivhaus Instituts erfüllt und zertifiziert wurde. Wie hoch sind die Anforderungen zur Erhaltung der Zertifizierung des Passivhaus-Standards?

Zur Erhaltung der Passivhaus-Zertifizierung müssen strenge Kriterien erfüllt werden: Der Heizenergiebedarf und der gesamte Energieverbrauch für Heizung, Warmwasser und Haushaltsstrom müssen niedrig bleiben und eine hohe Luftdichtheit ist erforderlich, um Energieverluste zu minimieren. Der thermische Komfort muss das ganze Jahr über gewährleistet sein, ohne dass die Innenraumtemperatur häufig über 25 °C steigt. Die Planungsprozesse werden durch eine Systemzertifizierung massiv vereinfacht, was den Bauherren zugutekommt. Sie profitieren von niedrigen Betriebskosten und hoher Bauqualität.

 

Noch kurz zu Ihnen persönlich: Worauf freuen Sie sich am meisten, wenn Sie morgens zur Arbeit kommen?

Auf einen spannenden und herausfordernden Arbeitstag mit guten Begegnungen und produktiven Besprechungen, um ERNE zu DEM Innovationsunternehmen für die gesamte Wertschöpfungskette im Bau zu entwickeln. Ich bin stolz darauf, in einem erfolgreichen und stark wachsenden Traditionsbetrieb zu arbeiten, der seit 1906 und in vierter Generation für Fortschritt in der Bauindustrie steht. Es macht mir grosse Freude, unsere Kunden mit Premiumprodukten zu begeistern und mitzuhelfen, ihre Projekte zur vollsten Zufriedenheit zu verwirklichen.

 

Beschreiben Sie Ihre Tätigkeit in maximal drei Sätzen.

Ich arbeite mit meinem Führungsteam täglich daran, ERNE erfolgreich in die Zukunft zu führen. Dabei liegt mein Fokus darauf, ein Hochleistungsteam mit einer Performance-Kultur zu formen. Des Weiteren liegt mein Hauptaugenmerk darauf, das Portfolio sowie unsere Produkte innovativ und nachhaltig auf die Bedürfnisse unseres Marktes auszurichten.

 

Haben Sie diese Position schon immer angestrebt? Schon früh hatte ich den Entschluss gefasst, CEO zu werden. Diese Funktion bietet mir die Möglichkeit, unternehmerisch tätig zu sein und die Weichen zu stellen, damit das Unternehmen erfolgreich im Markt positioniert ist und langfristig wettbewerbsfähig bleibt.

 

Wie sehen Ihre nächsten Ziele aus?

Ich habe mir zum Ziel gesetzt, die ERNE Gruppe zu einem modernen, nachhaltigen Top-Unternehmen weiterzuentwickeln, das für Innovation und Nachhaltigkeit steht und langfristig wettbewerbsfähig bleibt. Persönlich liegt mir als Unternehmer viel daran, den Schweizer Industriestandort aufrechtzuerhalten.

 

Was raten Sie jemandem, der eine ähnliche Karriere einschlagen will?

Setzen Sie sich ambitionierte Ziele. Machen Sie, was Sie gerne tun. Und lernen Sie aus Fehlern und Niederlagen. Zum Erfolg braucht es aber auch Fleiss, Geduld, eine Portion Glück und das Bewusstsein, dass man nur in einem Team erfolgreich sein kann. Meine Lebensphilosophie ist folgende: Egal was du machst, mach es im Respekt vor den Menschen - mach es gut - mach es intensiv - mach es prägend.

 

Interview: Remi Buchschacher

Green Estate Report: Interview Giuseppe Santagada